mit den Schlagworten:

wuestenblume-teaserDie abenteuerliche Lebensgeschichte von Waris Dirie soll nun als überraschend spannender Spielfilm breitenwirksam für das sensible Thema "Beschneidung von Frauen", abgekürzt FGM (Female Genital Mutilation) mobilisieren. Zeitgleich erschien der gleichnamige Weltbestseller in einer Neuauflage.





 

 

Der Wandel vom armen Nomadenmädchen aus Somalia zum internationalen Topmodel könnte ein modernes Märchen sein: Mit 13 sollte Waris Dirie im wuestenblume03Tausch gegen fünf Kamele mit einem alten Mann verheiratet werden. Eine Aussicht zum Davonlaufen. In London wird sie vom berühmten Fotografen Terry Donaldson (einfühlsam: Timothy Spall) beim Putzen in einem Fast Food-Restaurant entdeckt, von der Agentin Lucinda (herrlich arrogant und zielstrebig: Juliet Stevenson) in der Modewelt und ihrer überdrehten Freundin Marilyn (tragisch-komisch: Silberne Bär-Preisträgerin Sally Hawkins) im täglichen Leben betreut. Die Schwierigkeiten mit der wuestenblume07Einwanderungsbehörde lassen sich durch eine Zweckehe beseitigen. Wäre da nicht noch etwas...

Der Tag, der ihr Leben veränderte

Waris Dirie ist aufgewachsen in einer Nomadenfamilie in der Wüste von Somalia, wo die Beschaffung von Wasser das größte Problem für das tägliche Überleben darstellt. Dort wurde sie im Alter von fünf Jahren beschnitten. Ein Brauch, der durch die Religion gefordert wird und von den wuestenblume09Mädchen als etwas Besonderes ersehnt wird. Anschließend wird taktvoll darüber geschwiegen, um den jüngeren Geschwistern keine Angst einzujagen. Durchgeführt wurde diese Zeremonie von einer alten Frau mit einer rostigen Rasierklinge ohne Betäubung und ohne Wundversorgung. Dabei werden der äußerlich sichtbare Teil der Klitoris und die Schamlippen abgeschnitten und anschließend die Vagina bis auf einen kleines Loch zugenäht (es gibt verschiedene Varianten). Wer Glück hat, wuestenblume16überlebt. Wer unbeschnitten ist, gilt als unrein, kann nicht verheiratet werden und ist eine Schande für die Familie.

Waris Dirie war die erste Frau, die vor einer breiten Öffentlichkeit über die Genitalverstümmelung gesprochen hat. Sie war Sonderbotschafterin der UNO, gründete ihre eigene Foundation und wurde für ihr Engagement mit mehreren Preisen ausgezeichnet. Den Zusammenhalt mit ihrer Familie hat sie dadurch verloren. Wo sie hinkommt bleibt sie eine Fremde. wuestenblume20Ständig muss sie nun über ihr intimstes Körperteil reden. Wie gespalten ihre Persönlichkeit ist, zeigt ihr dreitägiges Verschwinden vor einer Rede in Brüssel im März 2008. Danach war jeden Tag eine neue Version in den Medien zu lesen. Auch Hannes Rossacher fühlte sich bemüßigt ein Interview über Waris Dirie zu geben ("...dabei schaltete sie auf 'Desert-Mode' um, switchte quasi in ein anderes Raum-Zeit-Kontinuum." - Nachzulesen HIER. Aus dem gemeinsamen Filmprojekt ist dann offensichtlich doch nichts geworden.

Von der Autobiografie "Wüstenblume", geschrieben mit der Hilfe von Cathleen Miller, wurden seit 1997 unglaubliche 11 Millionen Exemplare (3 Mio allein in wuestenblume_plakatDeutschland) verkauft. Die Neuauflage wurde jetzt um Szenenfotos aus dem Film und zwei Interviews (die ZEIT und Madonna, zu ihrem Abtauchen 2008) ergänzt. Bei allem Interesse für die Geschichte von Waris Dirie entsteht durch den betulichen Tonfall, der verhärmte, bigotte Frauen sicherlich in Islam- und Männerhass bestätigt, ein seltsam verklärtes Bild. Einen ganz anderen Eindruck hinterlässt der Film. Die Handlung wurde von Sherry Hormann stark vereinfacht, durchwegs erstklassige Schauspieler gecastet. Das äthiopische Model Liya Debede spielt überzeugend Waris Dirie als junge Frau. Wenn sie in das ihr fremde und seltsame London der 1980er Jahre schaut, liegt in ihrem Blick viel mehr als in den schönen, großen Augen von Audrey Tatou in Coco Chanel. In kurzen Rückblenden wird von der Vergangenheit in der Wüste erzählt.

In 14 afrikanischen Ländern wurde die Beschneidung inzwischen offiziell verboten. Trotzdem teilen Tag für Tag 8.000 weitere Mädchen dieses Schicksal. Diskussionen – wie in Italien- ob dieser Eingriff in Spitälern durchgeführt werden soll, sind ähnlich fortschrittlich wie Debatten über die Zulässigkeit von Folter unter bestimmten Umständen. (Text: Christine Koblitz; Fotos: © Majestic / Mathias Bothor [Teaser]; Walter Wehner)


Buch-Tipp:

Waris Dirie - Wüstenblume
Bewertung: @@@
Verlag: Knaur (Neuauflage 2009)
375 Seiten, € 10,30
ISBN 978-3-426-78342-9

{sus_amazon id=3426783428&pid=kulturwoche-21}

Film-Tipp:
Wüstenblume
Bewertung: @@@@
Deutschland, Österreich, Frankreich; 120 Minuten
Regie und Buch: Sherry Hormann
Kamera: Ken Kelsch
Szenenbild: Jamie Leonard
Kostüme: Gabriele Binder
Schnitt: Clara Fabry
Produktionsleitung: Jonas Dornbach

Mit: Liya Kebede, Sally Hawkins, Timothy Spall, Juliet Stevenson, Craig Parkinson, Anthony Mackie, Meera Syal, Soraya Omar-Scego, u.a.

Verleih: Filmladen (2009)