Der Flüchtling, Foto: Anja Köhler

Mit "Der Flüchtling" von Fritz Hochwälder zeigt das Vorarlberger Landestheater ein echtes Trilemma.

Welchen Wert hat ein Mensch, der Flüchtling?

Ein Mann flüchtet, dringt in eine fremde Welt ein, bringt Verwirrung und Unsicherheit in eine grundsolide wirkende Ordnung. Alle drei Beteiligten müssen sich überlegen, mit welchem Recht und auf Basis welcher Grundsätze sie ihre Handlungen setzen. Welche(n) Wert(e) hat also ein Mensch? Das ist die zentrale Frage, die am Landestheater Vorarlberg mit Fritz Hochwälders Drama "Der Flüchtling" verhandelt wird. Habe ich meine Werte und behalte sie für mich? Trage ich sie nach außen und stehe für sie ein? Sind Werte an Hierarchien gebunden? Gesetz und Ordnung, gesellschaftliches Miteinander, Menschlichkeit? Wo stehe ich inmitten dieser Werte? Welchen Wert gestehe ich mir selbst zu? Und wenn meine Werte mich das Leben kosten würden?

Wer zahlt, schafft an

Damit lebt der Grenzwächter (Nico Raschner) und fügt sich ohne viel nachzudenken ins System. Er hat einen sicheren Arbeitsplatz, eine Frau und ein trautes Heim. Sein Fokus liegt auf seiner heilen Welt und nichts soll dies stören. Ihm ist das Hemd näher als der Rock und Pflicht ist Pflicht. Er ist ruhig, verständnisvoll, eigentlich sympathisch. Kurz, ein ganz normaler friedlicher Durchschnittsbürger, mit Hang zu Harmonie.

Purer Egoismus

Der Flüchtling, Foto: Anja KöhlerSich einfach wie ein Schaf in das für ihn von außen bestimmte Leben und Sterben zu fügen, ohne Recht auf Gestaltung einer eigenen Zukunft, dagegen wehrt sich der Flüchtling (Tobias Krüger). Getrieben vom Willen zum freien Leben bricht er aus und auf, rennt, wird gejagt, rettet sich schließlich in ein fremdes Haus und bittet um Hilfe. Dabei überlegt er sich nicht, was er damit auslöst. Purer Egoismus bestimmt sein Handeln.

Jeder Herzschlag verändert die Welt

Mitten in der Nacht findet sich die Frau des Grenzwächters (Johanna Köster) mit dem rasenden Herzschlag eines Fremden konfrontiert, schützt ihn vor seinen gesetzlich berechtigten Verfolgern und ist plötzlich Fluchthelferin ohne je zuvor darüber nachgedacht zu haben. Sie steht zwischen den Welten. Soll sie ihrem menschlichen Impuls folgen oder ihn verraten? Was ist mit ihrem eigenen friedlichen Leben?

Transparenz

Eine zentrale transparente Wand bestimmt das reduzierte Bühnenbild von Mira König. Wieviel kann gesehen werden, wieviel ist verborgen? Was will ich sehen, worüber lege ich den Schleier des Vergessens oder Nicht-Wissen-Wollens? Das Licht (Arndt Rössler) nimmt die Figuren in den Fokus und verändert die Sicht. Gleichzeitig bietet diese Wand Projektionsfläche für eingespielte Videos (Seraphin Simon), in denen Reflexionen der Figuren in verschiedenen Steigerungsstufen von Eindringlichkeit gezeigt werden.

"Ein Mensch - wissen Sie was ein Mensch ist?"

Dramaturg Ralph Blase hat das 1945 fertiggestellte Stück von Fritz Hochwälder von seinen religiösen Aspekten befreit und mit einer Abschlussszene ergänzt, die den Ton des Stückes fortführt und ganz in die Gegenwart bringt. Die Inszenierung von Bérénice Hebenstreit konzentriert sich auf die Gefühls- und Gedankenwelt der Figuren, positioniert sie ausdrucksstark mit klarer Körpersprache. Dem jungen Ensemble gelingt es mit Zurückhaltung und gleichzeitiger Intensität den Denkraum zu öffnen und die Entwicklungen der Figuren überzeugend darzustellen. Nichts im Stück zwingt das Publikum die Charaktere für ihr Handeln zu verurteilen. Alles regt an zur Reflexion, mit Tiefe und Leichtigkeit.

Angeklagt der Menschlichkeit

Pia Klemp hat als Kapitänin der Iuventa gemeinsam mit ihrer Crew in einem Jahr an die 14.000 Menschen aus Seenot gerettet. 2017 wurde ihr Schiff von den zuständigen italienischen Behörden festgesetzt. Als Begründung dafür wird der Verdacht auf Beihilfe zu illegaler Einwanderung genannt. Wird Anklage erhoben, riskiert sie und ihre Mitstreiter bis zu 20 Jahren Haft. Die Lage hat sich gebessert. Im Dritten Reich stand das eigene Leben auf dem Spiel. //

Text: Ruth Kanamüller
Fotos: Anja Köhler

Der Flüchtling, Foto: Anja KöhlerKurz-Info:
Der Flüchtling
von Fritz Hochwälder
Bewertung: @@@@
Kritik zur Aufführung im Vorarlberger Landestheater
Inszenierung: Bérénice Hebenstreit
Bühne und Kostüm: Mira König
Licht: Arndt Rössler
Kamera und Schnitt Videosequenzen: Seraphin Simon
Dramaturgie: Ralph Blase
Mit: Johanna Köster, Tobias Krüger, Nico Raschner