open_for_everything_03Der Titel des Tanztheaterstücks von Constanza Macras und ihrer Compagnie Dorky Park in ihrer Roma-Hommage ist in mehrerlei Hinsichten zutreffend für das, was man an diesem kühlen Maiabend in der ausverkauften Tanzhalle im MQ zu sehen und hören bekommt.

Das zahlreiche Macras-Ensemble bestehend aus Performern, Musikern, Tänzer/innen unterschiedlicher, aber überwiegender Roma-Couleur hat sich in den monatelangen Proben nicht abgerackert, um die schlechte Verfassung der geächteten und diskriminierten größten ethnischen Minderheit in Europa einem intellektuellen, bildungsbürgerlichen "Wiener Festwochen"-Publikum mit wortgewaltiger aufklärerischer Geste unter die Nase zu reiben. Vielmehr scheint es Macras um einen Akt der Selbstbehauptung zu gehen und dazu wird zunächst einmal mit der Axt, wie Elfriede Jelinek zu sagen pflegt, auf bestehende Roma-Klischees dreingeschlagen. Dabei entkommt auch sie selbst nicht der affirmativen klischeebeladenen Gegenüberstellung von Extremen, die vom überschwänglich esoterischem Interesse an den "anarchischen Exot/innen" in heimisch nationalistischen Gefilden bis zur Verachtung von Seiten der spießigen bildungsbürgerlichen deutschen Leitkultur-Lehrerin reichen; genauso dabei ist jene imaginierte Romantik des "lustigen freien Zigeunerlebens", der bunten Röcke, goldenen Accessoires, zu dessen Vertonung Geige, Kontrabass, Percussion sowie melancholischer- wie lebensfroher Gesang nicht fehlen dürfen.

Mit der "Schmalzmusik" endlich aufhören

Dennoch bleibt es nicht beim Aufzeigen aller herrschenden Vorurteile, sonst wäre es kein Macras Stück. Es muss das wilde Chaos triumphieren, um diese Klischees ein für alle Mal im Schleudergang jenseits der Diffamierung und Misere zu katapultieren, wo das Individuum zu Wort kommt und das Leben selbst in die Hand nimmt. Es sind vor allem Roma-Darstellerinnen, die in kurzen autobiografisch präsentierten Monologen von den misogynen, finanziell prekären und patriarchalen Verhältnissen erzählen und sich für ihre Kinder ein besseres Leben erhoffen. Aber die traurigen Momente währen in dieser Inszenierung nie lang, fordern die stolzen Roma doch selbst mit der "Schmalzmusik" endlich aufzuhören. Auch wenn es hauptsächlich die Profi-Tänzer/innen von Dorky Park sind, die mit ihrem originellen tänzerischen Ausdruck die Monologe erst poetisch verdichtet umsetzen und insgesamt als Kräftebündel sowie Blickfang der Inszenierung wahrgenommen werden, stört diese Differenz das Gesamtbild keineswegs.

Sinnbild der Kultur der Roma

Eher ist es der Fall, dass einige Szenen teilweise etwas zu beliebig und großspurig angefangen werden und nicht ganz so pointiert in der Umsetzung zu Ende gebracht werden. Was wunderbar funktioniert ist die untypische Mischung von Stilen, Genres und Sprachen, die das Klischee-Spektrum öffnet und gleichzeitig so im Sinne von "Open for Everything" zum Sinnbild der Kultur der Roma wird, die sich musikalische Einflüsse je nach Niederlassung und populären Stilen in Europa von ungarischer Volksmusik, über Flamenco wie auch Jazz einverleibt hat. Entgegen der anfänglichen Polarisierung und dem Postulat, dass die meisten Menschen mit dem Namen Roma entweder Kriminalität oder Zigeunerromantik assoziieren, wollen die zeitlich großzügigen wortlosen bunt schillernden Tanz- und Musikeinlagen vor allem die Nicht-Identität feiern und dem Publikum Lust darauf machen, damit spielerisch umzugehen. Zwar erst am Schluss, aber dann doch ließ sich auch das reservierte Publikum von der Ausgelassenheit und positiven Energie auf der Bühne anstecken und honorierte diese Begeisterungsfähigkeit und große Leistung des heterogenen 19-köpfigen Ensembles größtenteils mit kräftigem Schluss-Applaus und Standing Ovations. (Text: Kathrin Blasbichler; Fotos: Thomas Aurin)

open_for_everything_4152Kurz-Infos:
Open for Everything
Bewertung: @@@@
Kritik zur Aufführung am 14.5.2012 im Rahmen der Wiener Festwochen 2012
I
nszenierung und Choreografie:
Constanza Macras
Dramaturgie: Carmen Mehnert
Von und mit: Emil Bordás (HU), Hilde Elbers (NL), Anouk Froidevaux (CA), Fatima Hegedüs (HU), Ádám Horváth (HU), László Horváth (HU), Hyoung-Min Kim (ROK), Denis Kuhnert (D), Viktória Lakatos (HU), Zoltán Lakatos (HU), Iveta Millerová (CZ), Elik Niv (ISR), János Norbert Orsós (HU), Monika Peterová (CZ), Rebeka Rédai (HU), Marketa Richterová (CZ), Ivan Rostás (HU), Magdolna Rostás (HU), Viktor Rostás (HU)
Musiker: Marek Balog (SK), Milan Demeter (CZ), Milan Kroka (CZ), Jan Surmaj (CZ), Petr Surmaj (CZ)

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