lilian-grof-sisiDas Stationentheater rund um die Brunnenpassage am Yppenplatz im Rahmen von "Macht Schule Theater" unter der Regie von Corinne Eckenstein feierte am 23.4.2012 Premiere und ist noch bis Freitag zu sehen. Eine Nachtkritik von Tristan Jorde.

Endlich macht Schule Theater

Schule in Österreich ist ja ein heiß umfehdetes und wild umstrittenes Betätigungsfeld vieler parteipolitischer Profilierungsneurosen. Relativ einig sind sich die meisten Fachmenschen in der Einschätzung, dass viele Talente und Fähigkeiten von SchülerInnen in den österreichischen Schulen weder entdeckt noch gefördert werden. Unter anderem auch die Fähigkeit, sich mit eigenen, fremden und zugeschriebenen Identitäten auseinander zu setzen. Während diverse ökonomiegetriebene Effizienzmeier Ansichten verbreiten, es möge am besten nur noch Informatik und Betriebswirtschaft unterrichtet werden, fallen soziale, künstlerische und persönliche Bildung immer mehr einem hanebüchenen Spardiktat zum Opfer. Eine kleine, glückliche Ausnahme bildet dabei "Sag mir, wer ich bin!" von Theater Foxfire im Rahmen von "Macht Schule Theater", wo Jugendliche unter professioneller Anleitung und Regie theatrale Formen suchen, mit denen sie ihren ureigensten Sorgen und Themen emotional und entschieden begegnen können. Auch Gewaltprävention, auch Umgang mit dem Anders-Sein, auch ein Zusammenleben unter sozialem und ökonomischen Druck und ausgrenzenden Rollenzuschreibungen werden hier artikuliert.

 Umworbenes, gemiedenes Grätzel Yppenplatz - mitten im Leben

 Im aktuellen Projekt rund um den Wiener Yppenplatz - einer Art urbaner Kampfzone zwischen populistischen Vorurteilen, erdiger Buntheit und allmählich anwachsendem Bobo-Ville - haben sich 18 Jugendliche ihre Sprache, ihren Ausdruck gesucht und im besten Sinne gefunden. Zunächst wurden in einer Schreibwerkstatt - unter der professionellen Anleitung von Yasmin Hafedh und MC Vista - Gedanken gesammelt und in eine erstaunliche Formenvielfalt gebracht, vom lyrischen Text bis zur Rap-Kanonade. Anschließend hat die Regisseurin Corinne Eckenstein in bewährter Manier diese Texte mit dem bunten Haufen von Jugendlichen verschiedenster Herkunft in ein kurzweiliges und berührendes Stationentheater verwandelt. Berührendes wechselt mit Sachen zum Lachen, Kampf mit Besinnlichkeit, und dies alles hat stets die zwingende Kraft der Authentizität. Das, woran sich das Volkstheater mit dem Projekt "Die Reise" zwar unkonventionell, aber doch im geschützten Rahmen eines Stadttheaters heranwagte, passiert hier mit deutlich mehr Mut und mitten unter uns. Kein Theater für die Festspielloge. Theater für die Straße, Theater für Menschen. Theater fürs richtige Leben.

 Zwei theatrale Reisegruppen auf dem Brunnenmarkt

 Die Zuschauer werden geteilt und dann wandern eine "Rote" und eine "Blaue" Gruppe über den Wiener Brunnenmarkt, durch seine angrenzenden Häuser und quer durch den handfest ballbespielten Yppenplatz. Und machen an allen möglichen und unmöglichen Ecken und Hinterhöfen Halt, um eine kurze Episode aus der großen Sinn- Herkunfts- und Heimatsuche der jungen Menschen direkt und hautnah zu erleben. Und geboten wird einiges: Ein kleiner tickender Zeitbombenkoffer, von Lilian Grof wortreich und energisch beworben und den dadurch verunsicherten Umstehenden in die Arme gelegt. Ein Hahnenkampf zweier Jugendlicher in der Seitengasse eines Ghettos mit anschließender Versöhnung. Österreich sucht dann auch den Super-Migranten (danke für diese witzige Zerbröselung von "Leistungskonzepten nach Staatssekretärs-Art"), wo sich selbst Sisi von Österreich als gesunde Herkunftsmischkulanz zu erkennen gibt und mit einem franko-arabischen Gangster-Rapper (Sammy Hassan, "...wenn ich zu einer Tankstelle komme, brauch ich mich nicht anstellen, weil die Leute Angst vor mir haben, ich überfalle Sie...") flott und frech um den Titel drängt.

 Hyperreale Szenerie

 Gleich danach um die Ecke ein Telefonat nach Afghanistan. Ein himmeltrauriges, zutiefst berührendes Gedicht über eine zerstörte Heimat und einen Platz ohne Ankunft (von Meghdad Roustaei). Und dann wieder eine wunderbar witzige Klischee-Parade, ein höchst vergnügliches Match mit Vorurteilen aller Länder und Menschen, auch ein mazedonischer Rapper, der sich lebensecht und direkt die Beschimpfung eines echten Hausbewohners einfängt. Wie ja auch immer wieder die Interventionen des Yppenplatzes (Betrunkene Passanten, aufmerksamkeitsheischende Ballkäfig-Buben und eben Anrainer in allen Sympathiegraden) für eine hyperreale Szenerie sorgen. Bewundernswert, wie dieses junge Ensemble trotzdem konsequent und kraftvoll bei seinem Spiel bleibt. Und dadurch sogar manchmal die skeptischen Zufallsbekanntschaften vor Ort zum Zusehen und Zuhören verleitet. Dazwischen versichert wieder einmal die ferngesteuerte "Urösterreicherin" - gerade noch als Klischee-Sisi beim Casting dabei - süßlich und spielerisch, dass "in Österreich alles in Ordnung sei" und macht gerade damit die Falschheit dieser Behauptung bemerkenswert transparent.

 Wir sind in die Welt gevögelt aber können nicht fliegen

 Zum großen Finale finden die einzelnen DarstellerInnen wieder in der Brunnenpassage zueinander, geben einander Kraft und versöhnen sich miteinander im "Du und ich", einem ebenso fetzigen wie eindringlichen Gruppen-Rap. Witz, Tempo, Farbe, Trauer, Zorn, Wut, Sprache, Musik, Kraft und Emotionen. Alles da. Im Vorbeigehen zwischen den einzelnen Stationen fand ich an einer Häuserwand des Platzes auf einem Schild den großen Werner Schwab zitiert mit: "Wir sind in die Welt gevögelt aber können nicht fliegen". Das mag für viele in unserem Leben gelten, an diesem Abend aber konnten die tollen jungen DarstellerInnen doch fliegen. Und nahmen freudig das begeisterte und ebenso bunte Publikum auf ihren tollkühnen Abenteuerflug mit. (Text: Tristan Jorde; Fotos: Rainer Berson)

hinterhofKurz-Infos:
Sag mir, wer ich bin!
Bewertung: @@@@
Altersempfehlung: 14+
Regie und Konzept: Corinne Eckenstein
Macht Schule Theater ist ein Theaterprojekt des Bundesministeriums für Unterricht und Kunst mit dem Theater Foxfire
Partnerschulen GRg 17, Parhamergymnasium, Neue Mittelschule Kandlgasse und Interface
Nachtkritik zur Premiere am 23.4.2012 am Yppenplatz / Brunnenpassage, Wien