demoni_03Die Zweifel im Vorfeld waren unberechtigt. Weder war ein halber Tag im Theater zu viel des Guten noch verkam die Halle E im Museumsquartier zum riesigen Schlafplatz. "I Demoni - Die Dämonen" von Dostojewski unter der Bearbeitung und Inszenierung von Peter Stein war kein öder Ruhepolster, sondern spannungsgeladene Kurzweiligkeit.

Mit "Die Dämonen" (Originaltitel: "Besy", erstmals erschienen 1871/72) erreichte Fedor Michajlovic Dostoevskij (11.11.1821 - 9.2.1881) seinen Höhepunkt und war ursprünglich als Pamphlet gegen die russische Form des Atheismus - den Nihilismus - gedacht. Je länger er aber an dem knapp 1000-Seiten-Band arbeitete, desto mehr verwebte er die Handlung mit der philosophischen und künstlerischen Problematik. "In Dostojewskis Werk ringt der Mensch um seine letzte Wahrheit, um sein allmenschliches Ich", schrieb Stefan Zweig in "Drei Meister", und Zweig schrieb auch: "In seine Romane tritt man ein wie in ein dunkles Zimmer. Man sieht nur Umrisse, hört undeutliche Stimmen, ohne recht zu fühlen, wem sie zugehören. Erst allmählich gewöhnt sich, schärft sich das Auge..." - Diesen Gedankengang nahm auch Peter Stein auf und inszenierte "Die Dämonen" in einer ausführlichen 9-stündigen Fassung (insgesamt 3 Stunden Pause kamen hinzu, sodass man sich also 12 Stunden Zeit nehmen musste, um das Stück zu sehen).

Triumph für das Theater

Man konnte - als Teil des Publikums - bloß staunend zur Kenntnis nehmen, wie geradezu leicht das Stück abging und wie schnell die Zeit verging. Von Langeweile jedenfalls keine Spur. Erstaunlich auch die erneute Erkenntnis, welch großartige Literatur, welch bedeutende Sätze Dostojewski hervorbrachte, die, obwohl vor mehr als 100 Jahren geschrieben, heute keineswegs veraltet wirken. Das Geheimnis der Schönheit als die eigentliche Frucht der Menschheit, die Geschichte eines Mordes aus politischer Räson und aus Angst vor Denunziation, revoltieren gegen bestehende Ordnungen, die Überwindung Gottes und die Gottwerdung des Menschen, deren Verwirklichung sich nicht als Triumph des Menschen, sondern als Zerstörung der Persönlichkeit erweist, sowie, als letzte Konsequenz der Idee des eingekerkerten Bewusstseins bei Dostojewski, die Losung Alles ist allem gleich, stellen die verbindenden Elemente dar und treiben die Handlung voran.

Ein ständiges Kraftfeld mit stetig wachsender Spannung

Das hervorragende Ensemble, allen voran Elia Schilton als Stepan Trofimowitsch Werchowenskij, legten in diesem Marathonstück eine erstaunliche Konstanz an den Tag, und dass die Aufführung in italienischer Sprache (mit deutschen Übertiteln) stattfand, war ebenfalls weniger störend als ursprünglich befürchtet. Sehr gelungen auch das flexible Bühnenbild, das sich sehr geschwind in diverse Schauplätze verwandeln konnte. Aber halt, Geschwindigkeit war an diesem Theatertag gar nicht notwendig, denn die Kunst lag ja gerade darin, Dostojewskis langsamen Aufbau bis zur Konfliktzuspitzung in aller Ausführlichkeit zu zeigen. In den ersten drei Stunden lernte das Publikum die einzelnen Charaktere und die Verflechtungen zueinander kennen, und es hörte die Selbstmordtheorien von Alexej Nilytsch Kirillow, genial gespielt von Fausto Russo Alesi. Nur wenn der Mensch den Mut hat, sich zu töten, kann er beweisen, dass es Gott nicht gibt und selbst Gott werden. Kirillow ist, so erfährt man im Laufe des Stücks, bereit, sich - und damit Gott - zu töten. Sein höchster Punkt des Eigenwollens wird jedoch für das konspirative Treiben der Utopie von Schigaljow (dargestellt von Fulvio Pepe) - die grenzenlose Despotie, die Herrschaft des außergewöhnlichen Menschen über die Kommune der Entmündigten - eingespannt. Genötigt, sich als Mörder des Studenten Iwan Pawlowitsch Schatow (großartig: Rosario Lisma) auszugeben, stirbt Kirillow schließlich als Opfer einer grauenvollen Mystifikation. Die Hauptperson des Stücks ist allerdings Nikolaj Wsewolodowitsch Stawrogin (superb: Ivan Alovisio), der im Zwiespalt steht zwischen schöpferischer Geistigkeit und Eros. Um ihn gruppiert sich letzten Endes die gesamte Handlung, wobei die Konflikte, in die Stawrogin gerät, durch seine Liebesverstrickungen vertieft werden. Eine tragische Figur also, im Ringen einer geistig und seelisch möglichen Existenz. "Die Dämonen" in der Inszenierung von Peter Stein ist ein ständiges Kraftfeld mit stetig wachsender Spannung, das nach 12 Stunden plus fünf Minuten Standing Ovations ein euphorisches Publikum zurück ließ. //

Text: Manfred Horak
Fotos: Andrea Boccalini, Tommaso Le Pera

Kurz-Infos:
I Demoni - Die Dämonen
Bewertung: @@@@@@
Von Fjodor M. Dostojewski
Bearbeitung, Inszenierung und Übersetzung ins Italienische: Peter Stein
Kritik zur Premiere am 3. Juni 2010
Wiener Festwochen :

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