talisman-josefstadt2009Mit seinem Lehrstück über Vorurteil und Ausgrenzung, Karrierestreben und Überbewertung von Äußerlichkeiten hat Nestroy eine seiner reizvollsten und aktuellsten Satiren geschaffen. Lässt sich die bitterböse Diskriminierung von Haarfarben doch problemlos auf die spätere von Hautfarben beziehen. Oder auf den heute oft chamäleonartigen Wechsel von Weltanschauungen, durch den die stolzesten Karrieren möglich werden. Kulturwoche.at war bei der Vorpremiere.

Ja, das Stück ist gut. Ja, wir haben's schon oft gesehen. Ja, eine Neuinterpretation könnte durchaus spannend sein. Aber was hier in der Josefstadt produziert wurde ist schlicht und einfach nicht Fisch und nicht Fleisch.

Ein Talisman mit falscher Perücke, oder: ich wär so gern modern

Die Optik (Bühne: Rolf Langenfass) ist eine karge, schlampig weiß getünchte Bretterbude, die wahlweise Landstraße, Blumengartl oder Herrschaftszimmer mit Einschwebesofa beherbergt. Man wähnt sich in der Gestaltung bei Schottenbergs Talisman am Volkstheater, dieser bot zur kalten, kargen Bühne Sehschlitze auf hektische Beine, hier gibt es hingegen Luken und Türen aus dem Raumschiff Enterprise mit Fallbeilanmutung. Dazu spielt eine Damenkapelle (in allen Haarfarben - wie sinnig), die eine Art Modern-Ethno-Jazz bietet, was für sich recht nett ist, aber mit dem Rest dieser Nestroy Interpretation hint und vorn nicht z'sammengeht. Dementsprechend ruppig kommen die obligaten Couplets daher. Man weiß nicht so recht, ob hier die Jazzavantgarde oder doch die etwas mühsam herbei konstruierten aktualisierten Scherzerln (Ja, ja, Bankenkrise, zur Abwechslung) aus dem Heute die Oberhand behalten.

talisman07talisman05Von den Darsteller/innen sind Titus (Florian Teichtmeister) und Salome (Gerti Drassl) zwar durchaus lebendig, energetisch und glaubwürdig, haben aber in der Umsetzung der Nestroy Sprache gröbere Unklarheiten (oder gehört das zur Regie? Das blieb im Dunklen). Es ist schlicht und ergreifend unakzeptabel, wenn mitten in einem klar wienerischen Couplet "Netsch no" vor "Hedgefonds" kommt und dabei das "e" so falsch ausgesprochen wird, dass es erstens nicht Wienerisch ist und zweitens auch noch den Reim bricht. Derlei Schwankungen oder Nicht-Entscheidungen zwischen Dialekt, Nestroyscher Kunstsprache und völlig unmotivierten Hochsprache-Einsprengseln gehören zu den großen Ärgernissen dieser Aufführung. Ist es zuviel verlangt, diesen sehr österreichischen Autor auf einer österreichischen Bühne österreichisch zu sprechen? "Da hab i scho gnua", in Standardlautung ausgesprochen, ist einfach elend. Oder will die Regie damit wieder einmal angestrengt modern, distanziert, verfremdend wirken? Ich wollte mich diesem Inszenierungsrätsel nicht hingeben. Von den anderen Darstellern sei noch Otto Schenk als Plutzerkern erwähnt, der sehr klar weiß, wie Nestroy funktioniert und das gelassen und sehr witzig zeigt. Auch Sona McDonald ist eine authentische Constantia mit vergnüglichem Hang zur strengen Kammerfrau. In Summe: sehr konventionelles Spiel, sehr konventionell inszeniert, mit modernistischer Brettelbude und Ethno-Jazz. Naja. Nestroys Texte sind übrigens wirklich gut. Trotz dieser Unbill. Und einmal mehr sehens- und hörenswert. (Text: Tantris; Fotos: Moritz Schell)

Kurz-Infos:
Der Talisman von Johann Nestroy
Ab 21. Mai 2009 im Theater in der Josefstadt
Bewertung: @@@ (der dritte für Nestroy)
Regie Michael Gampe
Bühnenbild und Kostüme Rolf Langenfass
Titus Feuerfuchs Florian Teichtmeister
Salome Pockerl Gerti Drassl
Frau von Cypressenburg Marianne Nentwich
Emma, ihre Tochter Eva Mayer
Constantia, ihre Kammerfrau Sona MacDonald
Flora Baumscheer, Gärnterin Elfriede Schüsseleder
Plutzerkern, ein Gartenknecht Otto Schenk / Martin Zauner
Monsieur Marquis, Friseur / Spund, ein Bierversilberer Peter Moucka
Herr von Platt, ein Theaterkritiker Christian Futterknecht
Notarius Falck Gideon Singer
Georg, Bedienter bei Frau von Cypressenburg Mario Hellinger