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Bob Dylan 1965Der Musikhistoriker Greil Marcus begibt sich auf die Spurensuche nach Bob Dylans "Like A Rolling Stone" und erzählt die Biografie eines Songs, das zum besten Song aller Zeiten gewählt wurde. Von Manfred Horak.

Schrieb Bob Dylan den besten Song aller Zeiten?

Ein bestimmtes Lied ernsthaft zum "Besten Song aller Zeiten" zu küren ist in etwa genauso schwierig wie den "Schlechtesten Song aller Zeiten" zu finden. Wiewohl das Führen von Hit-Listen aller Art ja nicht erst seit Nick Hornbys "HiFidelity" ein persönliches Vergnügen für etliche Menschen ist, sind "Feststellungen" bzw. "Behauptungen" dieser Art, wie z.B. was denn nun das "Beste Lied aller Zeiten" sei, doch mit Vorsicht zu genießen, oder, wie Woody Allen im Film "Annie Hall" (dt. "Der Stadtneurotiker) über die Verleihung von Grammy-Awards spöttelnd meinte: "Awards! They do nothing but give out Awards! 'Best Fascist Dictator': Adolf Hitler!" [In der deutschen Synchronisation wurde dieser Satz übrigens folgendermaßen entpolitisiert: "Preisverleihungen! Na ja, jede Generation bekommt die Musik, die sie verdient!"; Anm.]. Dennoch kann man sich über das vorliegende Buch "Bob Dylans Like A Rolling Stone" vom amerikanischen Musikhistoriker und Buchautor Greil Marcus nicht lustig machen, egal wie man zur Person und zur Musik bzw. Lyrik von Bob Dylan steht, denn dieser 1965 veröffentlichte Song bietet tatsächlich enorm viel Schreibstoff. Und als Aufhänger des Ganzen diente nun mal jene vom Musikmagazin "Rolling Stone" [das Magazin benannte sich übrigens nach einem gleichnamigen Song von Muddy Waters, sowie nach jener Band der Herren Mick Jagger, Keith Richards und Charlie Watts, die sich ebenfalls nach dem Song von Muddy Waters nannte, wie auch eben nach dem Song von Bob Dylan, um den es hier geht; Anm.] in Auftrag gegebene weltweite Umfrage unter Musikern, welcher Song für diese das wichtigste und beste sei - und heraus kam nun mal "Like A Rolling Stone" von Bob Dylan. Dass die Wahl keine schlechte war steht außer Zweifel, aber bitte, es wurden ja auch Musiker aus dem Pop-/Rock-Umfeld gefragt und nicht z.B. Schlagersänger, denn wäre dies der Fall gewesen, das Ergebnis würde garantiert ein anderes sein.

Oben bleiben, ganze sechs Minuten lang, und dabei niemals hinunterschauen

Bob Dylan 1965 an der E-GitarreWer bereits Bücher von Greil Marcus gelesen hat, weiß natürlich, dass er weite Strecken zurücklegt um zum Kern vorzudringen. Einerseits. Andererseits. Dass er permanent aus dem Kern heraus in die Weite schweift und mühelos beim Wesentlichen bleibt. So dreht sich das Buch selbstverständlich zwar ständig um den Song, der im Buchtitel vorkommt, aber gleichermaßen stellt Greil Marcus zur Schau, wie Dylan überhaupt dorthin gelangen konnte, und was seither passierte - um es mal möglichst knapp zu formulieren. Er beschreibt daher auch z.B. in penibler Chronologie, was sich am 15. und 16. 6. 1965 im Studio A von Columbia Records in NY City ereignete - dies dankenswerter Weise in einer dubios anmutenden Dialogfassung, als Bob Dylan mit den Musikern und der Studiocrew sich an "Like A Rolling Stone" versuchten, und zwar in insgesamt 20 Takes plus zwei Probetakes, wobei letzten Endes Take 4 vom 16. 6. 1965 zum Master-Take wurde, "und", so Greil Marcus, "das einzige Mal, dass der Song gefunden wird." Viele dieser 20 Takes dauerten im übrigen nicht einmal eine Minute und Take 4 ist, glaubt man der Überlieferung von Greil Marcus, tatsächlich der einzige Take, bei dem das Lied durchgespielt wurde. Der Autor beschreibt aber auch die gesellschaftlichen Umstände der damaligen Zeit, erklärt den Hintergrund (vielmehr die Hintergründe) des Dylan-Textes, richtet den Blick zurück bis in die frühen Jahre des Blues, von Son House bis Robert Johnson, bis hin in die jüngere Vergangenheit und den Dylan-Alben "Time Out Of Mind" und "'Love And Theft'" bzw. seine Rolle als desillusionierter Musiker im Film "Masked And Anonymous", auf dessen Soundtrack u. a. eine HipHop-Version der italienischen Band Articolo 31 von "Like A Rolling Stone" unter dem Titel "Come una Pietra Scalciata" zu hören ist. Klarerweise ist auch die zum Teil ablehnende Haltung des (Live-)-Publikums gegenüber Bob Dylan in jener Zeit ein Thema, wie z.B. der berühmte "Judas!"-Ruf, aber auch andere Eigenartig- und Unstimmigkeiten. Eine Frage bleibt allerdings offen: "Was für ein Mensch muss(te) das sein", schreibt Greil Marcus, "der sich in einem überfüllten Konzertsaal erhebt, um einem Juden ein 'Judas!' zuzurufen?" (Manfred Horak)

Greil Marcus Buch über Bob DylanBuch-Tipp:
Greil Marcus: Bob Dylans Like A Rolling Stone - Die Biografie eines Songs
Bewertung: @@@@@
Verlag: Kiepenheuer & Witsch (2005)

Link-Tipps:
I'm Not There: Interview mit Todd Haynes
Bob Dylan: Bilder eines Lebens - die frühen Jahre


CD-Kritiken:

Bob Dylan (Debüt-Album)
The Freewheelin' Bob Dylan
The Times They Are A-Changin'
Another side of Bob Dylan
Bringing It All Back Home
Highway 61 Revisited
Blonde On Blonde
The Basement Tapes
John Wesley Harding
Nashville Skyline
Time Out Of Mind
"Love and Theft"
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Together Through Life
Christmas In The Heart