Der OST Klub (Kulturwoche.at übrigens auch) glaubt an die
Möglichkeit, dass Menschen unterschiedlicher Herkunft eine gemeinsame Zukunft
haben können. Wechselseitiger Respekt und vor allem Verständnis können dazu
beitragen. "Und wie", stellen die Festivalmacher/innen fest, "geht das besser
als beim gemeinsamen Genießen von Kultur, im Fall des OST Festivals von Musik."
Wäre nur alles so einfach, würden auch die Lebensbedingungen der Roma in der EU
besser sein. Um Verbesserung sind die EU-kraten zwar bemüht (soferne nicht der Schein trügt), die soziale
Integration für Millionen von Roma will aber nicht gelingen, auch wenn so
manche Kommissionsmitglieder optimistische Töne von sich geben,
letztendlich sind es doch nichts als leere Worthülsen. "Die Lage der Roma ist
ein dunkler Schatten auf dem Gewissen Europas im 21. Jahrhundert", sagte
z.B. das für die Chancengleichheit zuständige Kommissionsmitglied,
Vladimír Špidla. "Die bestehenden Probleme sind zwar vielfältiger und
komplexer Natur, doch wir verfügen über die Instrumente, mit denen die
Integration der Roma verbessert werden kann: von Rechtsvorschriften bis zu
erprobten Finanzierungs- und Austauschkonzepten. Jetzt ist ein gemeinsames
Engagement der Akteure auf lokaler, regionaler, nationaler und europäischer
Ebene nötig, damit diese Instrumente besser eingesetzt werden und somit eine
bessere Zukunft für die Roma in der gesamten EU gewährleisten können. Nur mit
einer gemeinsamen Bemühung aller Beteiligten können wir die Situation ändern."
Armut und systematische Diskriminierung in der EU
Und auch wenn die allgemeine Rezession und Angst vor einer
noch stärkeren weltweiten Finanzkrise diese Herausforderung für die Union mit
einem Vorhang des Schweigens zudeckt, die Herausforderung bleibt, denn neue
Mauern wurden bereits längst errichtet. In den ehemals kommunistischen Ländern
Europas sind Roma nämlich die großen Verlierer der politischen Wende. Zur Zeit
des Staatssozialismus war ihnen noch ein Mindestmaß an sozialer Versorgung
garantiert, wenn auch um den Preis kultureller Diskriminierung. Seither geht
das Gespenst der systematischen Diskriminierung gegenüber der Roma umher. Da
half leider auch das "EU Jahr des interkulturellen Dialoges (2008)" nichts an
dieser Situation etwas zum Positiven zu ändern.
Klangbilder einer Weltreise, oder: Interkultureller Dialog
beim OST Festival
Somit kommen wir zur Festival-Idee. Der OST Klub führt mit seinem
diesjährigen OST Festival III "Urban Gypsies" die Idee vom "EU Jahr des
interkulturellen Dialoges (2008)" fort und bietet mit dem reichhaltigen
Musikprogramm die Möglichkeit zumindest einen Abend lang einen nachhaltig
interkulturellen Dialog zu leben. Das Programm kann sich freilich sehen lassen
und Musikfans werden mit der Zunge schnalzen, denn mit dem Boban Markovic
Orkestar, !DelaDap, sowie Melinda Stoika & Harri Stojka stehen drei
hierzulande sehr geschätzte Acts am Programm und mit Gipsy cz. gibt es noch
dazu die Shooting Stars aus Tschechien erstmals in Wien. Aber jetzt mal eins
nach dem anderen.
!DelaDap
Das aktuelle Album von !DelaDap, "Sara La Kali", ist ein
Paradebeispiel dafür wie man versunkene Zeiten mit aktuellem Lebensgefühl
verbinden kann. Der Album-Titel bezieht sich auf Sara-la-Kâli, die
Schutzheilige der Roma, die der Legende nach während einer Christenverfolgung
auf einem Schiff nach Südfrankreich floh. Stani Vana in einem Interview mit
Samir Köck: "Sie war eine Vogelfreie mit einer aufregenden Geschichte. Auch ich
habe noch das Underdog-Gefühl in mir, schließlich bekam ich meine erste
Zahnbürste und meinen ersten Bic-Rasierer im Flüchtlingslager Traiskirchen."
Eine große Inspiration in der Musik von !DelaDap ist das Reisen, natürlich,
muss man eigentlich hinzufügen, da ja die Gypsys auf ihren Reisen im 17. und
18. Jahrhundert verschiedene musikalische Stile der jeweiligen Länder
integrierten, so ist auch das Album "Sara La Kali" eine einzige Reise.
Herausragend z.B. "Kaj Tu Salas (Where have you been?)", das Lied mit dem
unwiderstehlichen Groove, drei Sängerinnen inklusive. "Hop, grandpa says";
heißt es da, "we will drive across the world / […] / From India / We went to
Europe / From Spain / We went to Romania…" und: "Take care of your children!"
Der Gypsy-Style von !DelaDap ist letzten Endes schick, elegant, urban und sexy,
genährt durch ungemein viel Soul und Selbstbewusstsein, das auch auf der Bühne
in Form von gebündelter Kraft zelebriert wird. Energie, die aus der
Verschmelzung von traditionellen Roma-Instrumenten und den kraftvollen und
raffiniert gesetzten Beats entsteht, zusätzlich verstärkt von der
besonderen Emotionalität der Sängerinnen. So ist aus Vanas "Studiofrickelei" längst schon ein komplexes Miteinander geworden. Tragend und
harmonisierend das Akkordeon-Spiel Alen 'Djamba' Dzambics, grundierend und
druckvoll der Kontrabass von Jovan Torbica, vibrierend vor Spielfreude das
Gitarrenspiel von Aleksandar Stoijc. Voll
russisch-weiter Tiefe geprägt und fiebrig zugleich das Violinspiel von
Pavel 'Pasha' Shalman. Und da sind natürlich vor allem die Vokalistinnen, die Emotionen
sprudeln lassen, mal mit kehliger Laszivität, dann mit jazzig-rauchigem Timbre.
Stoika & Stojka
Mit "Just another City" veröffentlichte die Wundersängerin und
der Meistergitarrist ein hervorragendes Großstadtalbum, das alleine von daher
natürlich besonders gut zum Festivalabend Urban Gypsies passt. Harri 'El Guitarrero' Stojka widmet sich hier also nicht dem Gypsy-Swing, sondern
beackert im Verbund mit !Deladap-Sängerin Melinda Stoika das weite Feld von
Soul, Jazz, Funk. 10 Lieder sind es auf dem Album geworden, die schön dahin
grooven und bisweilen an die besten Momente von George Bensons Disco-Pop-Ausflügen
wie "Give me the Night" erinnern. Sehr speziell - wie immer - das flinke
Gitarrenspiel, das wunderbar mit dem gehauchten bis kräftigen Soul-Gesang
harmoniert und Just another City zu einem kompakten Album macht. Herausragend
neben dem Titellied die Ballade "All I ever wanted". Große Lieder, die man
gerne öfter hört und live sicherlich noch einige Ebenen tiefer greifen.
Boban Markovic Orkestar
Boban Markovics legendäre Arrangements fußen auf zwei
Sockeln: den jahrhundertealten musikalischen Traditionen der Roma-Musiker, bis zurück in
die Zeiten der osmanischen Herrschaft, als die türkischen Militärblaskapellen
ihren Schwung nach Europa bliesen; und Bobans ebenso abenteuerlustigen wie
versierten Injektionen musikalischer Elemente aus allen Teilen der Welt - vorausgesetzt,
sie genügen seinen hohen Ansprüchen. Man lausche seiner Version des
israelischen Klassikers "Hava Naguila" - und wird erstaunt sein,
welche Qualitäten in diesem Stück weit über die von gut meinenden
Gitarrespielenden Seelsorgern im Religionsunterricht bekannten Versionen hinaus
stecken. Das Boban Markovic Orkestar spielt auf Hochzeiten genauso
beeindruckend wie auf Open-Air-Festivals, in Musikakademien, im Rahmen
klassischer Konzerte und sogar im Kinofilm Gucha - und es tut dies mit der Energie einer Rockband! So hat
es auf Hunderten von Konzerten und unzähligen Festivals in Europa und
Nordamerika neue Bewunderer für seine Musik gefunden und wurde während
seiner US Tournee 2004 sogar für einen Workshop an die berühmte Julliard
Academy in New York eingeladen. Und nicht einmal von Oasis hat man Klagen
gehört, als diese auf der Hauptbühne des ungarischen Sziget Festival so lange
auf ihr Publikum warten mussten, bis das Boban Markovic Orkestar sein Konzert vor
15.000 Besuchern auf der Word-Music-Bühne beendet hatte.
Gipsy cz.
Seit dem 2006 erschienenen und mittlerweile vergoldeten
Album "Romano Hip Hop" surfen Gipsy.cz auf der populären
osteuropäischen Musikwelle rund um Shantel, Gogol Bordello, Balkan Beat Box,
Fanfare Ciocarlia, uvm. ganz oben mit. So konnte die multikulturelle Formation
um Sänger / Rapper Radoslav Banga beim letztjährigen Glastonbury Festival (UK)
das Publikum mit ihren furiosen Romano-Hiphop-Klängen in ihren Bann ziehen und
gelangte das Video zum Titelsong ihrer ersten Platte gleich in die
internationale Hitparade von MTV. Auf ihrem neuen Album "Reprezent"
kombinieren die allesamt klassisch ausgebildeten Musiker voller anarchischer
Experimentierfreude und überbordender Spielfreude traditionelle, osteuropäische
Roma-Folklore-Klänge mit hitverdächtigen Popmelodien, clubtauglichen Beats und
temporeichen Raps zu einem ungewöhnlichen, energiegeladenen Soundmix. In ihrer
Musik treffen die Kulturkreise Ost- und Westeuropas aufeinander und fusionieren
zu einem Sound ohne Grenzen. Ihre leidenschaftlichen Songs sind poetische
Alltagsschilderungen, thematisieren voller Melancholie (und Humor) Liebe und Freundschaft und haben darüber hinaus einen politischen
Anspruch. Gipsy.cz stehen für Toleranz, Anti-Rassismus und Lebensfreude. Yeah,
that’s it! (Text: Manfred Horak, OST; Fotos: AG für den Frieden, Caritas, Josef Fallnhauser, Geco, Gipsy.cz, Marko Linus
Hook)
Festival-Infos:
OST Festival III "Urban Gypsies"
Freitag, 12. Juni 2009
Ottakringer-Brauerei
Einlass 19 Uhr, Beginn 20 Uhr
Ticketpreise: VVK € 27 / AK € 30
Vorverkauf: Jugendinfo (Tel. 01-1799, Babenbergerstr. 1,
1010 Wien)
Live-Acts:
Boban Markovic Orkestar (Serbien)
!DelaDap (CZ/BIH/A)
Gipsy cz. (CZ)
Melinda Stoika & Harri Stojka (A)
DJ-Line:
Gaetano Fabri
DJ Sao Nicolao
DJ Sid Data
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