Zwei dem Songwriting und den deutschen Liedermachern zelebrierende Feste fanden im Porgy & Bess und in der Szene Wien statt - das Blue Bird Festival vom 20. bis 22. 11., das am ersten Tag auf oberflächlichen Girlie-Pop und elegischem Psychedelia Folk-Rock setzte und das Liederfest am 22. 11., das mit politisch ambitionierten Auftritten zu überzeugen wusste.
Das Blue Bird Festival ist hoch geflogen und, zumindest am ersten Tag, bisweilen auch tief gestürzt. Mit Wallis Bird aus Irland erlebte das Publikum im Porgy & Bess einen erfrischenden Auftakt, der ob ihrer Selbstironie und ihres temperamentvollen Auftritts gute Laune verbreitete. Ihre Lieder strotzen nur so vor Übermut und Selbstbewusstsein und thematisieren häufig persönliche Gefühle, Gedanken, Schwankungen und Ideen. Für Textzeilen wie "Well I put my guns away / And shave my legs today / In hope someone may want to touch my skin", wie Wallis Bird in "Blossoms in the street" singt, erntet sie Lacher und Anerkennung, und dass sie sich im Porgy enorm wohl fühlte – wie sie des öfteren bekundete – war in jedem Moment ihres Auftritts zu spüren. Pure Energie. Sehr sympathisch. Kurzweilige, wenn auch eine unverbindliche und irgendwie wenig erwachsene Musik. Nach dieser bunt-blümigen Performance, die mit Tempo und offener Kommunikation für Jubel sorgte, hatte es die österreichische Formation Cloud 9 ziemlich schwer das Publikum für sich zu gewinnen. Musik, die für sich steht Joe Hartmann und Band bauten intensive Stimmungsbilder auf, nur war leider ein Großteil nicht gewillt in diese Klangwelt reinzufallen. Die Folge: Man fand kaum einen ruhigen Platz, nur rücksichtsloses Gequatsche. Somit versäumten allzu viele eine hörenswerte Band, die sich auf der Bühne wie Crosby, Stills and Nash postierten – nicht ohne Grund. Ihr psychedelisch-elegischer Folk-Rock hat Gewicht, nur muss man halt zuhören können, um die Musik und Texte zu verstehen. Es ist im Gegensatz zu Wallis Bird und Soko (die nach Cloud 9 ihren Auftritt hatte) keine beiläufige Musik, die man schnell vergisst, sondern Musik mit substanziellem Wert, die hohe Aufmerksamkeit verlangt. Am Cover vom Debüt-Album "Money can't buy my Cloud Nine" sieht man Joe Hartmann im Supermarkt mit voll gefülltem Einkaufswagen. Die Waren, die er in den Wagen legte tragen die Aufschriften "Peace", "Smile", "Dreams", "Freedom", "Don't worry" und dergleichen, der Bandname selbst ist eine Hommage an George Harrison, Live-Auftritte sind eher eine Seltenheit, vielleicht weil das musikalische Konzept zum Teil Richtung Verinnerlichung geht. "Rest a minute look around what happens", singt Hartmann in "Lay Down", einem Lied, das, so wie "For a Smile" oder "One of these Days" eine Größe besitzt, die man hierzulande nicht all zu oft vorfindet. Dass die APA schrieb, Cloud 9 wäre "der schwächste Act von Tag eins" [sic!] gewesen, kann hingegen nur als grobe Fehleinschätzung interpretiert werden, denn neben Cloud 9 bot an diesem Abend nur noch Maria Doyle Kennedy ernstzunehmende Erwachsenenmusik. Musik, die für sich steht mit Texten die an den Intellekt rühren. |
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Belanglos wie eine Belangsendung
Dilettantisch und geradewegs peinlich hingegen Soko aus Frankreich, auf die der Großteil des Publikums gewartet hat. Mit diesem Auftritt offenbarte sich auch das Scheitern von Blue Bird am Tag Eins, denn hier wurde offenkundig, dass die meisten nicht des Festival-Konzepts wegen ins Porgy pilgerten sondern Soko wegen. Die Musik und die Texte der französischen Anti-Sängerin sind so belanglos wie eine Belangsendung und so oberflächlich wie die Radioprogramme. Sei's drum. Nach ihrem Auftritt strömten die Massen Richtung Ausgang und kehrten nicht wieder und versäumten dadurch den Auftritt der irischen Sängerin Maria Doyle Kennedy, die nach anfänglichen Schwierigkeiten (oder war es Unmotiviertheit ob des sich rasch leerenden Porgy & Bess?) in eine zauberhafte Performance reinkippte. Kraftvoll wie Patti Smith. Somit bildeten sich zwei Kreise an diesem Blue Bird Abend: Der unverbindliche Teenie-Fast Food Pop von Wallis Bird und Soko für die nach Party lechzende MySpace-Generation und die fordernde elegische Musik von Cloud 9 und Maria Doyle Kennedy für Musik-Gourmets, die an diesem Abend anscheinend deutlich in der Unterzahl waren.
Das politische Lied fern jeder Quote
Ganz anders dazu das Liederfest in der Szene Wien, bei dem die Liederbestenliste Deutschland den Liederpreis an Wenzel und den Förderpreis an Dota & die Stadtpiraten vergab. Zur Abrundung und gleichermaßen als Auftakt zum Liederfest spielte sich Erika Pluhar und Klaus Trabitsch durch ein überraschend wenig Pathos versprühendes dafür mit umso mehr Spielfreude agierendes Best of der letzten Jahre. "Dass bald des anzige, was zählt, bei allem nur die Quoten san / Schon das Wort 'Quote' is so schiach, hört's euch des mal an / So schiach wie jedes Interesse, das auf Verkaufsqualitäten zielt / und bei dem die Qualität von an Menschenleben nix mehr gilt / Nur Müll wird produziert, den Herzen, Hirnen einverleibt / 'das woll'n die Leut', wird dann g'sagt, weil denen garnix übrig bleibt…", sang Pluhar in "I mag's net" aus dem Album "Lieder vom Himmel und der Erde" und gab damit die inhaltliche Richtung vom Liederfest vor. Insofern, dass beim Liederfest Künstler auftraten, die kompromisslos ihren Weg gehen. Das lockere Gitarrenspiel von Klaus Trabitsch ist weiterhin Top-Liga, auch weil er sich nie in den Vordergrund drängt und dadurch zum kongenialen Partner von Erika Pluhar wird. Pluhars tiefgründige Texte handeln oft – sie ist nun mal bereits in dem Alter – von Erinnerungen, dabei blickt sie allerdings nicht durch die Brille der Verklärung sondern durch eine Klarsichtfolie, und, siehe das Lied "I mag's net", sie textet punktgenau. Ein schwieriges Lied in ihrem Repertoire – da schwierig zu singen – ist ihr Lied "Die Angst", über das sie sich ebenfalls - unter Einbeziehung des guten alten Pathos - drüber traute. Für die Gäste aus Deutschland gab sie auch kurz Einblick ins Wienerische, zumal ihre Texte ja oft im Dialekt gesungen sind. Prima Auftritt.
Förderpreis für die Kleingeldprinzessin
Ein paar Jahrzehnte jünger als Pluhar ist die Berlinerin Dota Kehr, die den Förderpreis der Liederbestenliste Deutschland entgegennahm und mit ihrer Band Die Stadtpiraten immer wieder mal in den Reggae eintauchte. Dota sang über den öffentlichen Nahverkehr, über den Urlaub im Containerhafen, über das Schlaraffenland und über die überwachte Welt: "Lüge, wenn sie fragen, wo du wohnst / denn sie sammeln, sammeln / Daten, und ganz nebenbei weiß / deine Krankenkasse längst / was du im Supermarkt kaufst / und ob sie dich schon kennen / bei der Polizei / […] / Rechtschaffenheit liegt / im Ermessen der Betrachter / die man nicht sieht." Dota und Pluhar haben übrigens auch durchaus textinhaltliche Gemeinsamkeiten. Im Lied "Menschenklone" aus dem Album Immer nur Rosinen – das sie an diesem Abend leider nicht live spielte – heißt es nämlich (vergleiche dazu Pluhars "I mag's net") an einer Stelle, "Hunderttausend in der Statistik Scheintote / stehen vor Eurem Sender, sagen, wir sind Eure Einschaltquote". Musikalisch beschreitet die Band freilich andere Wege, neben der Reggae-infizierten Rhythmusgruppe stand beim Auftritt vor allem die Jazzgitarre im Vordergrund - die guten Texte wurden dadurch manchmal allzu sehr verdeckt.
Liederpreis für Wenzel
"Es gibt nicht viele Liedermacher", wie es in der Laudatio an Hans Eckardt Wenzel hieß, "die jenseits und diesseits der Elbe gleichermaßen akzeptiert sind. Deutschland einig Liederland ist eine Fiktion. Das hat allerdings immer weniger mit gegenseitigen Ressentiments zu tun, als viel mehr mit der fortschreitenden Regionalisierung der Liederszene. Das ist ja hier in Österreich genauso zu beobachten wie in der Schweiz. Und doch hat jedes Land eine Handvoll Liedersänger, deren musikalische Reputation sich mehr auf die Nation erstreckt, als auf ihre Region. Wenzel hat sich in den letzten Jahren in die Spitzengruppe der gesamt-deutschen Liedermacher gesungen, obwohl – oder vielleicht gerade weil er seine ostdeutsche Sozialisation nicht nur nicht verleugnet, sondern sie sogar sehr selbstbewusst verankert in seinen Liedern – als Normalität und dabei fernab jedweder Ostalgie-Hysterie…" Zitat Ende. Wenzel also, der für sein Lied "Tausend Tode" aus dem Album Glaubt nie, was ich singe den Liederpreis 2008 erhielt und nach vorgetragener Laudatio mit seiner Band einen starken Auftritt absolvierte. Wenzel am Klavier, Wenzel am Akkordeon, Wenzel an der akustischen Gitarre. Ja, er ist vielseitig, und er hat seine eigene unverkennbare Stimme, seine Lieder tragen eine deutliche Handschrift und seine Texte strotzen nur so vor Poesie und Zielgenauigkeit. Hervorragend neben dem prämierten "Tausend Tode" sein "Globalisierungstango", sein ganz persönliches Geburtstagslied "Lebensreise" und noch so viele mehr. Da war kaum etwas dabei (war da überhaupt etwas dabei?), was unaufmerksam machte. Die musikalische Ausrichtung von Wenzel und Band ist Folk, ist Rock, ist World, sein Tenor "Hoffnung, trotz alledem…". Unberechenbare Texte für eine bessere Welt in einem Liederfest für Musik-Gourmets. (Manfred Horak)