desh1Mit seinem Tanz-Solo "Desh", gezeigt im St. Pöltener Festspielhaus, begibt sich der in London geborene Tänzer und Choreograf Akram Khan nach Bangladesh, in die Heimat seiner Eltern. Aus Erzählungen, Mythen, Fiktion, aber auch aus eigenen Erlebnissen als Besucher des Landes, wird eine ebenso kluge, wie faszinierende Geschichte erzählt.

Akram Khan stellt sich selbst, als Individuum, in gesellschaftliche und familiäre Zusammenhänge, die prägend wirken: Es ist finstere Nacht auf der Bühne, auf einem kleinen weißen Hügel wächst ein mageres Pflänzchen. Ein mit einer Lampe und einem Hammer ausgerüsteter Mann betritt die Bühne und schlägt damit - ohrenbetäubend - auf eine Metallplatte ein. Das vorerst nur sehr sparsam beleuchtete Quadrat auf der Bühne (Lichtdesigner Michael Hulls), weitet sich bis zu den Bühnenrändern aus. Die Geräuschkulisse (Jocelyn Pook, die u.a. auch die Filmmusik für Stanley Kubricks "Eyes Wide Shut" machte) wird zu Geräuschen einer Großstadt, eine Mischung aus Industrielärm, Straßenverkehr, Menschengewusel und dem Hämmern des Mannes auf der Bühne. Obwohl er alleine auf der Bühne ist, wird er durch diese ihn umgebende akustische "Atmosphäre" in das Leben einer modernen, industrialisierten Großstadt eingebettet. Eine Stadt wie London, in der Akram Khan aufgewachsen ist. Später wird er sich in der Geräuschkulisse einer anderen Großstadt wiederfinden: der Hauptstadt Dhaka im extrem dicht besiedelten Bangladesh, der Heimat seiner Eltern, wie das ungleich chaotischere Treiben auf den Straßen vermuten lässt. Sich bewegende Lichtstreifen auf dem Bühnenboden symbolisieren fahrende Autos, zwischen denen der - wohl geordnete europäische Verhältnisse gewöhnte Mann - erst einmal lernen muss, unbeschadet die Straße zu überqueren.

Aufgemaltes Gesicht auf rasiertem Kopf

Akram Khan konfrontiert sich in seinem Solo mit seinem Vater (alle Personen werden von ihm selbst dargestellt), einem Koch, der seinen Sohn gerne auch in der Küche sehen möchte. Dieser aber trainiert lieber Tanz, oder spricht wie die Figuren in Fernsehserien, jeden Tag anders, was dem Vater gar nicht behagt. Die Mutter hingegen fördert seine tänzerischen Fähigkeiten. Mit einem aufgemalten Gesicht auf seinem rasierten Kopf spielt Akram Khan seinen Vater, den kleinen Mann, der aufgrund seiner kleinen Hände von pakistanischen Soldaten zum Reinigen schwer zugänglicher Kampfflugzeug-Teile herangezogen wurde. Und so wird auch ein Stück Geschichte in Erinnerung gerufen: die persönliche Geschichte des Vaters, der Gräueltaten mit ansehen und erleben musste, die Geschichte von Bangladesh, das seit der Teilung Britisch-Indiens zu Pakistan gehörte und erst 1971 die Unabhängigkeit erlangte.

Seidige weiße Stoffstreifen wie mächtige Gräser

Khan beschäftigt sich auch mit der nächsten Generation, einem Kind, das manchmal aber auch er selbst in jungen Jahren zu sein scheint und dem er Geschichten aus dem fernen Land Bangladesh erzählt. Diese sind mit Zeichnungen visualisiert, die auf Gaze projiziert werden  (Kostüme und Art Director ist Tim Yip, der u.a. auch Art Director bei Ang Lees "Tiger and Dragon" war). Am Ende wachsen seidige weiße Stoffstreifen wie mächtige Gräser vom Bühnenhimmel und Akram Khan schwingt kopfüber unter ihnen. Es ist eine wunderbare Geschichte, gespeist aus Erlebnissen, Erzählungen und Fiktion, erzählt von einem großartigen Tänzer und Choreografen. (Text: Veronika Krenn; Fotos: Richard Haughton)

desh2Kurz-Infos:
Desh
Bewertung: @@@@@
Von
Akram Khan Company

Fest/Spiel/Haus St.Pölten
Kritik zur Aufführung am 6. April 2013