Here is something, we call elucidation / is it the truth, or merely a description? Die Utopie einer gerechten Gesellschaft in Amerika entwirft David Byrne auf seinem Opus "American Utopia", dem 10-Song starken Album, das auf Vinyl alle Klangstückerln spielt. Das Thema ist nicht neu bei Byrne. Bereits mit Talking Heads hat er in "True Stories" einen abendfüllenden Film lang - in Form einer Mockumentary - ein Gesellschaftsbild von Amerika gezeigt. Anders als andere schält Byrne nicht die düsteren Seiten hervor, sondern zeigt positive Szenarien. Utopisch? Vielleicht. Aber wirkungsvoll. Die Welt in all ihrer Komplexität und Kompliziertheit wird hier in zehn Liedern zumindest weniger kompliziert. Geschrieben sind die Lieder in einem mehrjährigen Prozess überwiegend mit Brian Eno, eine Zusammenarbeit, die, wie man ja bestens weiß, bereits mehrmals für außergewöhnliche Ergebnisse sorgte, allen voran natürlich mit den Alben Remain in Light (1980) und My Life in the Bush of Ghosts (1981). Das ist freilich lange her, aber der Spirit und der Drang für musikalische Überraschungen ist weiterhin vorhanden. Und wie. Bereits der Opener I dance like this ist voll von großartigen Momenten - musikalisch wie textinhaltlich. Klassisches Songwriting trifft auf Techno und die Selbsterkenntnis auf Selbstironie: "I'm working on my dancing / This is the best I can do / I’m tentatively shaking / You don't have to look". Der Melodienreichtum erschliesst sich nicht in jedem Lied sofort, aber mit Sicherheit in Dog’s Mind und in Every day is a miracle. Beides Songs aus der Sicht von Tieren, eine Art critters pop, wie ihn Byrne bereits in Liedern wie Animals (Talking Heads, aus Fear of Music, 1979) performte. Sichtweise eines Huhnes: "Now the chicken imagines a heaven / Full of roosters and plenty of corn / And God is a very old rooster / And eggs are like Jesus, his son".

There's millions of ways to be free

Herausragende Byrniaden sind auch die bislang zwei Single-Auskopplungen des Albums, This is That und Everybody’s Coming to My House. Vor allem letzteres beschäftigt sich mit Essentialismus, wie ihn der französische Philosoph Gilles Deleuze lehrte. Die Totalität von Allem,  die das gesamte physikalische Universum und seine Möglichkeitsbedingungen umfasst; die Welt des Virtuellen, unvollkommen miteinander interagierend, oder, wie es bei Byrne heißt: "We're only tourists in this life / Only tourists but the view is nice", und: "A house and a garden / There are, there's plants and trees / Make a, a closer inspection / If you get, get down on your knees". Dazu gibt es die unglaublichsten Sound-Walls von Brian Eno, die den politischen Gefühlswelten Byrnes eine kongeniale Verstärkerfläche bieten. Die amerikanische Utopie ist nämlich in der Gesamtheit des Albums eine politische und moralische Utopie, die eine Ablehnung von Faschismus und Kapitalismus impliziert. Byrnes Moral, diese verspielt-sinnliche und wie erwähnt auch (selbst)ironische, bestärkt eine Akzeptanz  der Unvollkommenheit und Instabilität der realen Welt und bedingt aber die Freiheit des Einzelnen. David Byrne im Ausnahmesong It's not dark up here: "There's only one way to read a book / And there's only one way to watch tv / Well there's only one way to smell a flower / But there's millions of ways to be free". Der Reichtum des Albums manifestiert sich auch darin, dass es keinen auch nur annähernd schwachen Song gibt, dafür jede Menge Puzzleteile, geziert von dauerhafter (wenn auch nicht von sofort erkennbarer) Schönheit, pointierten Effekten, sowie einem unwiderstehlichen Klangcharakter und einem ambitionierten Sänger in Hochform. Ein Meisterwerk des musikalischen Traumpaars Brian Eno und David Byrne. Am 26. Juni 2018 gastiert David Byrne nach langer Zeit wieder einmal in Wien, und zwar im MQ Halle E. //

Text: Manfred Horak
Illustrationen: David Byrne



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Album-Info:
David Byrne: American Utopia
Musik: @@@@@@
Klang: @@@@@@
Label / Vertrieb: Nonesuch / Warner (2018)