Mit der Stückentwicklung "Der Dibbuk" beschwört Regisseurin Milena Michalek im Hamakom Theater gekonnt die Geister der Vergangenheit.

Haben Sie Albträume? Schmerzen die Muskelfasern? Haben Sie das Gefühl, dass Sie nicht Sie selbst sind? Dann haben Sie aller Wahrscheinlichkeit nach einen Dibbuk. Was das ist? Unwissende erhalten die Antwort bis 21. Dezember 2018 im Hamakom Theater. Aber auch wer bereits mit der Materie vertraut ist und nicht an Geister glaubt - nichts anderes ist ein Dibbuk - sollte dem Theater einen Besuch abstatten. Für den Fall, dass Sie selbst besessen sind, ebenfalls kein Problem - seinen Dibbuk darf man getrost mitnehmen. 
Glaubt man der grandios agierenden Schauspielerin Katharina Knap ist der Raum ohnehin voll mit Geistern. So einen Dibbuk fängt man sich nämlich rascher ein als einen Virus. Blitzschnell heftet sich die Seele eines/einer Verstorbenen an diverse Körperstellen. Der Besuch beim Geisteraustreiber wird notwendig. Nur eine Rolle, die Katharina Knap in Form eines buddhistischen Mönchs oder eine Psychologin im Laufe des Abends übernimmt und mit Bravour meistert.

Jüdische Künstlerspiele

Als Geschichtenerzählerin Sam geleitet sie das Publikum - im Rahmen einer Baridylle ("Sam's Bar") können auf im Raum aufgestellten Tischen auch Speisen und Getränke konsumiert werden - durch den Abend. Die Figuren der Geschichten, die sie erzählt, spielt sie selbst. Zum einen wäre da Lea, die sich unter "Oi"-Schreien krümmt als der Geist von Chanan in sie fährt. Den am gebrochenen Versprechen von Leas Vater, seine Angebetete zur Frau nehmen zu dürfen, verstorbenen Liebenden gibt sie zum anderen kurz zuvor. Beide Figuren stammen aus dem Stück "Der Dibbuk" von Salomon An-Ski, dessen Aufführungs-Geschichte sich auch in die Geschichte des Hamakom Theaters eingeschrieben hat. Dargeboten durch die Truppe Habimah, die später das Nationaltheater in Israel begründen sollte, war es das letzte Stück, das im Hamakom (damals "Jüdische Künstlerspiele") vor dem Anschluss Österreichs an Deutschland und seiner Arisierung und Schließung zu sehen war.

Ein weiterer Mitspieler

Mit derlei Wissen ausgestattet avanciert der Theaterraum im Laufe des Abends immer mehr zum Mitspieler. Spätestens während des langen Musikstücks von Ingrid Schmoliner lässt sich ausführlich mit dem Blick durch den Raum schweifen, um an den diversen Stuckelementen, den Wänden mit Patina oder den verzierten Schmiedeisengittern der Galerie haften zu bleiben. Dabei wird einem durchaus unheimlich zumute, wenn die Geister der Vergangenheit in Form von an die Wand gehängten Fotografien den Blick kreuzen. Begleitet von dem Diesseits entrückt wirkenden Klängen, die an die Theatralik so manchen Stummfilms erinnern - die Verfilmung von Salomon An-Skis "Der Dibbuk" ist im Foyer auf Großformat zu sehen - stellt sich ein gar schaurig-schönes Gefühl ein. Am Ende steigt Katharina Knap ein letztes Mal in ihren Lesesessel und vollendet auch die Lesung von "Der Dibbuk" von Hanna Krall. Eine Geschichte, die im Warschauer Ghetto zur Zeit der NS-Terrorherrschaft angesiedelt ist und sich tief in die Seele schiebt.

Was mit dem ersten Teil des Abends - der Erklärung des Phänomens Dibbuk und der Erläuterung der mystischen Geheimlehre Kabbala - mit einer unverbindlichen Plauderei beginnt und eher an eine humorvolle Lecture erinnert, steigert sich im Laufe von 80 Minuten zu einem intensiven, berührenden Theatererlebnis. Den Zuschauerraum des Theater Nestroyhof Hamakom sieht man danach jedenfalls mit anderen Augen. Ein dibbuköser Abend! Grandios. //

Text: © Sandra Schäfer
Fotos: © KHM Museumsverband Theatermuseum Wien, © Marcel Köhler

Kurz-Info:
Dibbuk
Bewertung: @@@@@
Theater Nestroyhof Hamakom

14., 16., 19., 20. und 21. Dezember 2018 (jeweils 20 Uhr)

Tickets unter: +43 1 8900314
Der Artikel erschien erstmals auf Kulturfüchsin.