v09-antichrist01Zwei Filme, die nicht unterschiedlicher sein könnten und doch einen gemeinsamen roten Faden mit sich herumtragen, feierten bei der Viennale 09 ihre Österreich-Premiere: "Antichrist" vom dänischen Filmemacher Lars Von Trier und "Koma" vom österreichischen Theater- und Filmemacher Ludwig Wüst.

Fährt der eine mit zwei international bekannten Schauspieler und einer fetten Produktion auf, kommt der andere ohne internationale Stars und auch ohne Produzenten bzw. Subventionsmittel aus. Quasi David gegen Goliath, und so wie in der Mythologie werden auch die Cineasten überrascht. Beide Filme sind nicht gerade leicht verdaulich, dies zunächst einmal die oberflächlichste Gemeinsamkeit, da beide Regisseure mit Snuff-Elementen arbeiten [Snuff-Film: Realer, gewaltsamer Tod im Film. Der Zweck des Mordes ist die filmische Aufzeichnung; Anm.]. Die zündende Idee zu "Koma", so erzählte es Ludwig Wüst nach der erfolgreichen Premiere am 27. Oktober 2009 im Künstlerhaus, kam denn auch tatsächlich von einem Snuff-Film, den er (von einem 14-jährigen! Oder habe ich mich da verhört?) zugesandt bekam, diesen aber nicht öffnen und also nicht ansehen konnte. Das reichte Ludwig Wüst aber bereits als Grundidee für seinen ersten langen Spielfilm, bei Lars Von Trier weiß man hingegen nix genaues. Noch eine Gemeinsamkeit: Beide verwenden eine ähnlich verstörende Bildsprache und Rückblenden (Wüst: "Der Film ist eine einzige Rückblende"). Somit kommen wir zum Trennenden: Von Trier setzt auf Slow Motion (Zeitlupe), auf viel Musik und generell auf Geräusche von außerhalb, Wüst setzt zwar auch auf Langsamkeit, das Tempo ist aber immer ein reales, er verzichtet zur Gänze auf Musik, die Geräuschkulisse kommt nie von außerhalb. Detailreich sind beide Filme, bei "Antichrist" sieht man alles (willkommen bei der Effekthascherei), bei "Koma" sieht man viel, das Grauen wirkt hier dennoch ungleich tiefer.

Ich liebe Dich - bitte schlag mich

v09-koma02Ludwig Wüst erzählt in "Koma" die Geschichte von Hans, einem 50-jährigen Taxifahrer, der an dessen Geburtstagsfeier im Familien- und Freundeskreis verschwindet, um sich auf die Suche nach der Frau aus seiner Vergangenheit zu begeben. Die Frau, die er beinahe tot schlug und ihr Dasein seither im Wachkoma fristet. "Koma" beeindruckt durch seine Konsequenz im Gang durch die verschiedenen Höllen von der unwirklichen Familienidylle zurück zur Frau aus seiner Vergangenheit. "Ich liebe Dich" hört man denn auch nur aus dem Munde der arg verprügelten (und zwar während sie mit dem Holzbrett geschlagen wird), innerhalb der Familie hingegen ist dieser Satz aus dem Gedächtnisspeicher verbannt. Das Familienleben als komatöser Zustand. Ludwig Wüst, so kann man auf der Viennale-Seite nachlesen, ist ein Sonderfall im österreichischen Kino, sein erster langer Spielfilm "Koma" erst recht. Kein leichter Film, aber ein Film, den man unbedingt sehen sollte.

Ich liebe Dich - bitte tu mir weh

Mit "Antichrist" hingegen - die Ö-Premiere fand am 29. Oktober 2009 im Gartenbaukino statt - ist Lars Von Trier in höchstem Maße gescheitert. "Antichrist" ist ein v09-antichrist03geradezu lächerlicher Film mit zum Teil absurden und hilflosen Sequenzen, die dem Film zwar einige Lacher einbringt, vermutlich aber nicht unbedingt erwünschte. Dabei beginnt "Antichrist" wahrlich fulminant und brutal-brillant. Während Charlotte Gainsbourg und Willem Dafoe Liebe machen (und die Kamera viele Details zeigt, die man eher in einem Porno erwartet), befreit sich das Kind aus seinem Gitterbett, klettert auf einen Tisch beim offenen Fenster und fällt einige Stockwerke tief. Dies alles, das Liebesspiel und den Todessturz sieht man in Zeitlupe, in mächtigen Schwarz-Weiß-Bildern und mit der Musik von Händel. Was dann kommt ist auch ein Absturz, allerdings ein filmischer. Dafoe therapiert Gainsbourg, dazwischen wird immer wieder mal der sexuelle Trieb ausgelebt, und dann, bereits in Eden (einem Waldstück plus Holzhütte) und scheinbar erfolgreich therapiert, beginnen die durchgeknallten Verstümmelungsorgien. Zunächst harmlos beginnend mit dem Wunsch von Gainsbourg während des Liebesspiels geschlagen zu werden, und da Dafoe dem nicht zustimmt, gibt es allerlei Bösartigkeiten von ihr ihm gegenüber. Da wird sein Bein durchbohrt und sein Penis malträtiert (bei der Ejakulation kommt jedenfalls Blut raus), dennoch überlebt er und sie verbrennt. Was will uns Lars Von Trier mit "Antichrist" eigentlich sagen? Dass "Shining" von Kubrick ein super Film war und Tabus der Vergangenheit angehören? Wissen wir doch längst, da hätte auch eine Twitter-Meldung von Von Trier gereicht. Verzichtbar, wenn man nicht gerade Hardcore-Fan ist.//

Text: © Manfred Horak
Fotos: © Viennale

Film-Infos:

Koma von Ludwig Wüst

v09-koma01Bewertung: @@@@@
Drehbuch: Ludwig Wüst
Kamera: Klemens Koscher
Schnitt: Samuel Käppeli
Ton: Gregor Rasek
Kostüm: Maja Ferizovic
Darsteller: Nenad Smigoc (Hans), Claudia Martini (Gertrud), Roswitha Soukup (Gerti), Anke Armandi (Renate), Stefan Mansberger (Daniel), Daniela Gaets (Nachbarin)
Produktion und Vertrieb: film-pla.net (2009) 

Antichrist von Lars Von Trier

v09-antichrist02Bewertung: @
Drehbuch: Lars von Trier
Kamera: Anthony Dod Mantle
Sch
nitt: Anders Refn
Ton: Kristian Eidnes Andersen, Julien Naudin
Ausstattung: Karl Júlíusson
Kostüm: Frauke Firl
Darsteller: Willem Dafoe (Er), Charlotte Gainsbourg (Sie)
Produktion: Zentropa Entertainment Slot Machine, Liberator Productions, Arte France, Cinema, Memfis Film International, Trollhättan Film AB, Lucky Red SRL
Verleih: Polyfilm (2009)