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Fluchtthematik verarbeitet für junges Publikum 

Flucht, Gewalt, Angst, Krieg, Gender, Politik. Das sind nur einige Schlagworte, die schon beim Lesen des Titels von Autor und Regisseur Flo Staffelmayrs "Die Geschichte eines Jungen aus Afghanistan" gedanklich präsent werden. Genau damit setzt sich das Stück, das für Jugendliche ab neun Jahren konzipiert ist, in mehr oder weniger ausgiebiger Weise auseinander. Eingeführt wird zu Beginn mit einem freundschaftlichen Fußballspiel zwischen dem Hauptcharakter und einem Freiwilligen aus dem Publikum, was gleich das Interesse der anwesenden Kinder und auch der Erwachsenen weckt. Doch das erheiternde Intermezzo wird von bitterem Ernst abgelöst: Es folgt ein Monolog, direkt an die Zuschauer gerichtet und Bezug schaffend. Angesprochen wird das Aufwachsen in Afghanistan, Genderthemen und Religion, was einen unmittelbaren Einstieg ins Stück ermöglicht. 

Metallener Bühnenzaun als Allusion

Auffallend ist zuerst die Besetzung: Verkörpert wird der Junge von der Schauspielerin Alev Irmak, wobei es sich dabei nicht um eine feministische Entscheidung handelt, was sich im späteren Verlauf der Handlung klären soll. Sie bleibt zudem die einzige Darstellerin auf der Bühne und führt mit ihren Erzählungen, die häufig auf Dialoge mit Eltern oder Freunden in der Vergangenheit zurückgreifen, in Jugendslang durch die Geschichte. Das Bühnenbild stellt wohl das Highlight der Inszenierung dar. Konzipiert von Paola Uxa, besteht es aus einem mehrere Meter langen und breiten Zaun, der beinahe die gesamte Bühne einnimmt. Das metallene Gestell dient eindeutig als Allusion und spielt damit auf die Schicksale allzu vieler Familien oder ziviler Einzelpersonen an, die sich ungerechtfertigt mit dem Krieg konfrontieren müssen. Es geht um Grenzen, ob reale oder von anderen nur durch Religion oder gesellschaftliche Überzeugungen erbaute, und wie Wege durch diese hindurch gefunden werden können. Je nach dargestellter Handlung verwandelt er sich vom Käfig in ein Gefängnis bis hin zum Grenzzaun.

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Die beschwerliche Flucht nach Österreich

Doch bleibt er als Requisit nicht nur bei seiner metaphorischen Bedeutung: Ausgestattet mit zahlreichen daran angebrachten Mikrofonen wird er im Verlauf des Stücks zudem immer wieder zum Musikinstrument, indem die Schauspielerin abhängig vom zu erzeugenden Stimmungsbild ihn wie die Saiten einer Harfe zupft und damit Klänge erzeugt oder wild darauf einschlägt und das nachhallende Echo noch Minuten später Schauder im Publikum erweckt. Unterteilt in mehrere Kapitel, die der Junge auch benennt wie in etwa "Koranschule" oder "Gefängnis", wirkt das Stück selbst wie das Lesen eines Buches. Man lernt den Jungen kennen, erfährt in Episoden mit Eltern und Geschwistern von seinem Aufwachsen, einer folgenreichen Entscheidung und der beschwerlichen Flucht nach Österreich. Diese Geschichten selbst seien oftmals wahre Erlebnisse, gesammelt durch Interviews mit Jugendlichen, die sich selbst schon in diesen Situationen wiederfanden, wie Flo Staffelmayr erklärt. Obwohl die Darstellerin kaum stillsteht und sowohl tragische, als auch aufregende Momente im Verlauf des Stücks geschaffen werden, bleiben narrative Höhepunkte zum Großteil aus. Zu häufig ist die Konfrontation mit Fluchtthemen für Erwachsene im Alltag, das kaum zu ertragende Leid der Betroffenen bekannt. Kinder und Jugendliche, welche durchaus die Zielgruppe der Produktion ausmachen, werden in ihrer Lebensrealität jedoch zumeist vergleichbaren Problematiken nicht ausgesetzt. Durch das Erzählen der Geschichte anhand eines "Freundes", wie sich die Hauptdarstellerin gleich zu Beginn etabliert, können neue Einsichten gewährt und wertvolle Bezugspunkte geschaffen werden. Der persönlich verarbeitete Stoff greift zahlreiche aktuelle politische Thematiken auf, verarbeitet in facettenreicher Weise, welche die Inszenierung zu einem sehenswerten Erlebnis macht. // 

Text: Marleen Zeirzer
Kritik zur Aufführung im Dschungel Wien am 28. April 2017